Der Grünspecht - Vogel des Jahres 2014

Stimme und Aussehen

Rufen statt trommeln

Der Grünspecht macht sich besonders durch seinen Gesang und seine Rufe bemerkbar. Sein dynamischer, meist mehrsilbiger Ruf gleicht einem gellenden Lachen: „kjückkjückkjück“. Diesen kann man das ganze Jahr über hören. Er wird oft im Flug geäußert. Zur Balzzeit baut der Grünspecht diesen Ruf zu einer langen lachenden Strophe aus, seinem Gesang: „klüklüklüklüklü“. Diesen trägt er oft ausdauernd mit Pausen von 20 bis 40 Sekunden vor. Der Grünspecht singt, um sein Revier abzustecken und um Weibchen anzulocken. Neben diesem Gesang bringt der Grünspecht nur selten einen der bekannten Trommelwirbel hervor, die bei anderen Spechtarten die Hauptform der Revierabgrenzung darstellen.

Bild: Der Vogel des Jahres 2014 - Der Grünspecht - NABU Ravensburg
Foto: P. Kühn - Der Vogel des Jahres 2014 - Der Grünspecht

Ein Exot unter den Spechten

 

Eine feuerrote Kappe und eine schwarze Gesichtsmaske schmücken den Kopf des Grünspechts. Ein roter, schwarz umrandeter Bartstreif schmückt den Kopf des Männchens. Ein durchgängig schwarzer Streif findet sich dagegen im Gesicht des Weibchens, das dem männlichen Grünspecht ansonsten in Schönheit, Farbenpracht, Größe und Gewicht in nichts nachsteht.

Der Grünspecht - Eine prachtvolle Erscheinung

Der Grünspecht ist ein echter Hingucker, sofern man ihn entdeckt. Sein Verhalten spiegelt seine Zugehörigkeit zu den Erdspechten wider: Mit abgesenktem Kopf bewegt er sich meist auf dem Boden, gut getarnt durch sein grünes Federkleid samt gelbem Bürzel. Typisch für den Grünspecht ist sein Flug in ausgeprägt bogenförmigen Bahnen. Diese Bögen entstehen, weil der Vogel nach einer kurzen Serie schneller Flügelschläge die Flügel komplett anlegt. Von Kopf bis Schwanz misst er zwischen 30 bis 36 Zentimeter und kommt auf eine Spannweite von 45 bis 51 Zentimeter.

Verhalten und Lebensweise

Ende Januar beginnen die ersten Balzgesänge des Grünspechtes. Gesanglich am aktivsten ist er zwischen März und Mai. Fast immer finden sich Paare für eine Saison, manchmal auch für eine längere Zeit.


Höhlenbau als Paarübung

Alte Bäume sind für den Grünspecht lebenswichtig. Nur in ausreichend dicken Bäumen mit weichen Stellen kann er seine Höhlen anlegen, bevorzugt in zwei bis zehn Metern Höhe. Grünspechte beginnen häufig mehrere Höhlen, die in späteren Jahren, wenn der Höhlenanfang etwas angefault ist, fertig gebaut werden. Das Eingangsloch ist meist sechs mal sieben Zentimeter groß. Der gemeinsame Höhlenbau ist ein Ritual, das Männchen und Weibchen aneinander bindet. Doch nicht jedes Jahr gönnt sich der Grünspecht eine neue Behausung. Oft bezieht er auch vorhandene Höhlen, wie die Schlafhöhle aus dem vergangenen Winter.

Alte Bäume und Totholz

Grünspechte hinterlassen in ihren Revieren viele Spechthöhlen, die von anderen höhlenbewohnenden Arten zur Brut genutzt werden: von verschiedenen Meisenarten, Staren, Kleibern, Halsband- und Trauerschnäppern oder Gartenrotschwänzen. Für letzteren – den Vogel des Jahres 2011 – ist der Grünspecht zum Beispiel ein wichtiger Baumeister. Aber auch Fledermausarten, Siebenschläfer und Hornissen profitieren von den Grünspechthöhlen. Besonders beliebt sind beim Grünspecht Weiden, Pappeln und Obstbäume. Leider werden diese in öffentlichen Grünanlagen und Gärten wegen übertriebener Verkehrssicherheit oft unnötig entfernt. Dabei würde ein Zurückschneiden oft genügen. Totes Holz bietet Wohnraum für viele Insekten, darunter auch einige spezialisierte Ameisenarten.

Aufzucht der Jungen

Zwischen April und Mai legt das Weibchen fünf bis acht weiße Eier auf eine dünne Schicht von Holzspänen. Wie bei allen Spechten wird kein Nistmaterial in die Höhlen eingetragen. Beim Brüten wechseln sich Männchen und Weibchen ab. Falls die Brut nicht erfolgreich ist, wird sie ein bis zweimal wiederholt. Im August, nach der Brutzeit, trennt sich das Paar wieder. Nach 14 bis 17 Tagen schlüpfen die Jungen und werden nach weiteren 23 bis 27 Tagen flügge. Das Paar füttert die Kleinen auch nach dem Ausfliegen für einige Wochen und nimmt sie mit auf Nahrungssuche. Jungvögel übernachten nach dem Ausfliegen oft an den Stamm gekrallt. Nach einem knappen Jahr erreichen Grünspechte ihre Geschlechtsreife, so dass die Jungen bereits im Folgejahr selbst brüten.

Bild: Vogel des Jahres 2014 - Der Grünspecht - NABU Ravensburg
Foto: R. Rössner - Das Grünspecht-Weibchen besitzt nur eine rote Kopfhaube - der rote Wangenfleck fehlt ihr.

Ameisen sind sein Leben

Zwischen Morgengrauen und Dämmerung ist der Grünspecht aktiv und bleibt seinem Revier treu. Täglich fliegt er die gleichen Routen und besucht dieselben Plätze, um Ameisen zu finden. Unter allen Spechten ist er am stärksten auf sie spezialisiert. Auch seine Jungvögel füttert der Grünspecht ausschließlich mit Ameisen. Während andere Spechte ihre Nahrung an Bäumen finden, sucht er gezielt auf lockeren Böden mit Störstellen ohne oder mit wenig Vegetation.

Schnabel und Zunge als Allzweckgerät

Unter allen europäischen Spechten hat der Grünspecht die längste Zunge. Er kann sie bis zu zehn Zentimeter vorstrecken. Mit diesem harpunenartigen Instrument erwischt er auch gut versteckte Ameisen. Dabei hilft ihm sein Schnabel als kombiniertes Werkzeug, das er als Meißel, Zange oder Axt einsetzt. Er schlägt Löcher in Ameisennester im Boden oder in weiche Baumstümpfe. Mit seiner Zunge, einem hochempfindlichen Tastorgan, dringt er in die Ameisengänge ein. Gefundene Ameisen, deren Larven und Puppen, bleiben an ihr kleben. Manchmal schlägt er auch die Ameisennester auseinander. Dabei bewegt er sich, als ob er einen Taktstock schlägt. Zu einem geringen Teil fressen Grünspechte auch andere Insekten, Regenwürmer und Schnecken sowie Beeren und Obst.

Winter- und Sommernahrung

Kleinere Ameisenarten bilden die Sommernahrung des Grünspechts. Er findet sie in kleinen Nestern auf Grünflächen, Wiesen, Weiden und an Wegrändern. Man erkennt sie meist an einem kleinen Erdhäufchen an der Oberfläche. Grünspechte legen manchmal sogar Ameisenfallen an, um mit weniger Aufwand an ihre Nahrung zu gelangen. Ameisen überwintern als erwachsene Tiere in Kältestarre tief im Inneren ihrer Baue. In harten Wintern erschwert gefrorener Boden dem Grünspecht die Nahrungssuche. Dann verlegt er sich auf leichter zu findende Nesthügel der größeren Waldameisen. 

Grünspechte können sich die unter dem Schnee versteckten Ameisennester merken und wieder aufsuchen, auch wenn sie dazu Tunnel durch den Schnee graben müssen. Um an das Innere eines Ameisenhügels zu gelangen, graben sie sogar Gänge hinein. Manchmal sehen diese im Frühjahr deswegen aus wie ein Schweizer Käse. Viele der selteneren Ameisenarten sind bedroht, aber um die häufigen Arten muss man sich keine Sorgen machen. Sie verschwinden jedoch genauso wie der Grünspecht, sobald Wiesen und Weiden zu viel gedüngt, mit Gift behandelt oder zu Ackerland umgebrochen werden. Die Spechte gefährden dagegen mit ihrer Nahrungsaufnahme den Ameisenbestand in keinster Weise.

Bild: Vogel des Jahres 2014 - NABU Ravensburg
Foto: P. Kühn - Das Grünspechtmännchen ist an seinem schwarz umrandeten, roten Wangenfleck sehr gut zu erkennen.

Lebensräume - halboffene Landschaften sind sein Revier

Haben Grünspechte einmal ein Revier besetzt, können sie dort ihr Leben verbringen. Die Größe ihrer Reviere schwankt sehr, je nach Ergiebigkeit des Lebensraums von nur etwa drei Hektar bis zu mehreren hundert Hektar. Ein Revier besteht aus Kernzonen mit Höhlenbäumen und Rufstationen auf herausragenden Ästen, Baumwipfeln und umliegenden Nahrungsflächen. 


Der Grünspecht ist ein ortstreuer Standvogel und bleibt im Winter in seinem Revier. Unser Jahresvogel legt seine Höhle in dicken hochstämmigen Bäumen an, bei denen der unterste Ast in mindestens 160 Zentimetern Höhe abgeht. Zudem benötigt er reichlich Ameisennahrung in offenem Grünland. Daher lebt dieser Specht ausschließlich in halboffenen Landschaften, einer ökologischen Übergangszone zwischen Wald und Offenland.

Halboffene Wälder

Halboffene Waldlandschaften mit ihren Lichtungen und aufgelockerten Waldrändern sind ideale Lebensräume für den Grünspecht. Er lebt daher besonders gerne in Auwäldern und alten Hutewäldern, in denen früher das Vieh zwischen den Bäumen weidete. Heute werden ähnliche Beweidungsformen als Naturschutzmaßnahmen wieder eingeführt.

Streuobstwiesen

Den Hutewäldern ähnlich sind strukturreiche Streuobstwiesen, in denen hochstämmige Obstbäume auf extensiv genutzten Wiesen stehen. Diese Wiesen, die mehrmals im Jahr gemäht werden, bergen viele Ameisennester am Boden. Mäht man sie zu oft, gar nicht oder werden sie gedüngt, verschwinden sie als wichtiger Lebensraum. Über die Jahre werden Streuobstwiesen ökologisch wertvoller: Die Bäume verdicken und das Totholz nimmt zu. Das bietet dem Grünspecht bessere Möglichkeiten, seine Bruthöhle anzulegen. Leider verschwindet diese traditionelle Landschaftsform zunehmend aus unseren Gebieten.

Parks und Gärten

Alte Bäume im Wechsel mit offenen Grünflächen charakterisieren viele unserer städtischen Grünanlagen, insbesondere die „Englischen Landschaftsparks“. Auch Privatgärten oder Kleingartenanlagen entsprechen oft diesem Bild. In den letzten Jahrzehnten nimmt der Grünspecht vor allem im Siedlungsraum zu.

Von der Industriebrache zur Grünanlage

Einen Sonderfall stellen in städtischen Ballungsräumen große Industriebrachen dar, die in den letzten Jahrzehnten entstanden sind. Ehemalige Zechen- oder Bahngelände bieten gute Nahrungsbedingungen, da Ameisen die rohbodenreichen Flächen lieben. Mit der Zeit wächst oft lichter Birkenwald. Findet der Grünspecht in der Umgebung zusätzlich geeignete Höhlenbäume, lebt er sich schnell ein. Die Industriebrachen können zu städtischen Parks gestaltet werden, so dass sich das Mosaik aus Wald und Offenland dauerhaft erhält